Andrea Nahles tritt zurück. Ihr Verzicht auf Partei- und Fraktionsvorsitz war mehr als überfällig. Die Probleme der SPD löst er aber nicht.
Auch die Ankündigung des Vizekanzlers Olaf Scholz, die SPD werde in Berlin keine weitere Regierungskoalition mit der Union eingehen, ist eher eine Nullnummer als eine echte Überraschung. Angesichts des dramatischen Stimmenverlusts von CDU und SPD bei der Europawahl ist eine „Große“ Koalition wohl mehr als unwahrscheinlich.
Beide Parteien haben sich ihre Lage mit einem erschreckenden Realitätsverlust selber eingebrockt. Heimliche Kungelei in Hinterzimmern und faule Kompromisse auf Kosten von Freiheitsrechten, Menschen und Natur sowie eine verfehlte Personalpolitik waren ihnen wichtiger als die entschiedene Lösung drängender Menschheitsprobleme. Vom immer wieder aufgeschobenen Klimaschutz und einer konzernfreundlichen Wirtschaftspolitik über wachsende soziale Ungleichheit bis hin zu fehlendem Wohnraum und mangelnden Konzepten zukunftsweisender Verkehrspolitik reicht die ernüchternde Regierungsbilanz von Union und SPD.
Wichtige sozialpolitische Forderungen wie die Grundrente ohne Bedürftigkeitsprüfung hat die SPD erst ausgepackt, als ihr das Wasser bereits bis zum Hals stand. Gleichzeitig hat sie den CSU-Hardliner Horst Seehofer als Innenminister hetzen und lügen lassen, ohne ihm Einhalt zu gebieten. Beim peinlichen Geschachere um die „schadlose Entsorgung“ des früheren Verfassungsschutz-Präsidenten Hans-Georg Maaßen hat Nahles erschreckend wenig Fingerspitzengefühl und noch weniger demokratische Überzeugung für die Werte deas Grundgesetzes bewiesen.
Um der Macht willen hat die SPD in der GroKo allles abgenickt, was die CDU an Fremdenfeindlichkeit, Überwachungsstaat und Sozialer Kälte von ihr eingefordert hat. Eine Partei, die sich in einer Koalition wie ein Tanzbär mit einem Ring an der Nase durch die Manege führen lässt, ist vollkommen überflüssig.
Einst war die SPD die Partei des sozialen Ausgleichs und das Sprachrohr benachteiligter Bevölkerungsgruppen. Doch bereits unter ihrem „Basta“-Kanzler Gerhard Schröder hat sie den Spitzensteuersatz gesenkt und damit die Schere zwischen Arm und Reich weiter geöffnet. Gleichzeitig hat sie das verheerende Sozialgesetzbuch II (SGB II) eingeführt, das unter dem Namen „Hartz IV“ wesentlich mit beiträgt zum Vertrauensverlust der einstigen SPD-Wähler in diese machtgierige Partei.
CDU und CSU sowie auch die SPD ahben die Agenda der AfD und deren rassistische Hetze aufgegriffen und die eigene Politik danach ausgerichtet. Nur die Verschiebung des politischen Diskurses sehr weit nach Rechts hat Aussagen wie die der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer zu dem Youtube-Video „Die Zerstörung der CDU“ von Rezo überhaupt möglich gemacht. Gleichzeitig bewies die CDU hier ebenso wie zuvor bereits der FDP-Vorsitzende Christian Lindner in einer Äußerung zur Jugendbewegung „Fridays for Future“, wie wenig Respekt sie gegenüber den Wahlberechtigten und insbesondere jungen Leuten haben.
SPD und CDU müssen sich dringend erneuern. Der Fisch stinkt vom Kopf her. Dieser Kopf steckt tief im Berliner Sumpf fernab der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in Ost und West.
Gerade profitieren Die Grünen von der dringlichen Debatte um Klimaschutz und den Erhalt der Artenvielfalt. Angesichts ihrer Verstrickung in viele Fehlentscheidungen von Koalitionen mit grüner Beteiligung auf Landesebene müssen aber auch sie dringend umsteuern. Zu hoffen ist allerdings, dass wenigstens sie den Weckruf verstanden haben.
Es ist 5 vor 12. Alle Parteien und Politiker müssen jetzt zum Wohle der Menschheit an einem Strang ziehen und die Umwelt vor der neoliberalen Gier und Zerstörungswut retten. Demokratische Parteien sollten dabei Eigennutz und Machtgelüste zurückstellen zugunsten eines schnellen und wirksamen Handelns.
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