Schwarze Milch: Zum tragischen Tod des Dichters Paul Celan

Das Unsagbare hat er in seinen Gedichten meisterhaft umschrieben. Sein Leben beendete Paul Celan wahrscheinlich am 20. April 1970 in Paris mit einem Sprung in die Seine.
Geboren wurde er als pal ‚tselan am 23. November 1920 in Czernowitz als Sohn jüdischer Eltern. Kein Zweiter hat die tragischen Erlebnisse der Shoaso berührend und eindringlich in Gedichtform gebracht wie er. Viele stießen sich an seiner Vortragsart, die sie als pathetisch abtaten und teilweise sogar verspotteten.
Seine „Todesfuge“ gehört aber schon seit vielen Jahren zur unverzichtbaren Standardlektüre deutschsprachiger Schulbücher. Schon ich habe sie in meiner Schulzeit kennengelernt. Meinem wunderbaren Deutschlehrer Gottfried Röber verdanke ich meine erste Berührung mit Celans Werk.
Ein Schaudern durchfuhr mich damals bei ihrer ersten Lektüre. Noch viel berührender wirkt auf mich heute der Vortrag des Autors mit seiner singenden Sprache. Die Rhythmik des Metrums kommt dadurch deutlich zur Geltung.
Zugleich distanziert Celan sich mit seiner Vortragsweise etwas von der Wucht der Aussage seines Gedichts über den faschistischen Massenmord. Später hat er sich geweigert,die Todesfuge vorzulesen, weil sie allzuoft missverstanden wurde, wohl aber auch, weil sie ihm selbst sehr tief zu Herzen ging.
Die „schwarze Milch in der Frühe“ habe ich als Schüler noch nicht so verstanden wie heute. Damals sah ich bei diesen Worten immer meinen älteren Bruder Kaffee trinken. Doch Celans Aussage „wir trinken und trinken und trinken“ gewinnt bei seinem Vortrag die quälende Bedeutung, dass diese „schwarze Milch“ am Morgen und am Abend ganz gewiss kein willkommenes Getränk ist sondern etwas, was man unentwegt zu sich nehmen muss.
Das „Grab in den Wolken“ hingegen ist eindeutig. In vielen seiner Gedichte thematisiert Celan Rauch. Mit zunehmender Auseinandersetzung mit seinem Werk und seinem Leben wird mir immer bewusster, dass er die unaussprechlichen Greuel des Holocaust einzig durch eine verklausulierte Sprache mit eindeutigen Anspielungen ausdrücken konnte.
Celan musste schreiben. Das war erseinen ermordeten Eltern und den Millionen jüdischer Opfer der Shoa schuldig.
Celan suchte nach Anerkennung. Sicherlich war sie auch ein persönliches Bedürfnis. Ganz gewiss war sie aber auch der Wunsch nach Anerkennung der Opfer des faschistischen Massenmords.
Mitunter wurde er von Leuten gewürdigt, die damit ihren eigenen Anteil an den Nazi-Verbrechen relativieren wollten. Seine Freundschaft zu dem Philosophen Martin Heidegger ist nur ein Beispiel dafür. Doch auch die jüdische Philosophin Hannah Ahrendtverband mit Heidegger eine lebenslange Freundschaft seit ihrer ersten erotischen Begegnung an der Philipps-Universität Marburg.
Auch Celan war ein Mann, der seine Wirkung auf Frauen genoss. Immerhin brachte seine Liebesbeziehung mit der Dichterin Ingeborg Bachmannihm 1952 die erste Einladung zu einem Treffen der „Gruppe 47“ ein. Doch Bachmann hatte als eine der ersten die literarische Sprengkraft von celans Gedichten erkannt.
Dagegen haben andere Literaten der „Gruppe 47“ ihn verspottet und ausgelacht. Diese tiefe Kränkung quittierte Celan mit einer Bemerkung, die einige von ihnen als „Journalisten“ abtat.
In den 60er Jahren war Celan wohl so etwas wie ein „Star“ des bundesdeutschen Literaturbetriebs. Jemand erzählte einmal, gegen Ende der 60er Jahre habe er imüberfüllten Auditorium Maximum (AudiMax) der Philipps-Universität vor über 1.000 begeisterten Studierenden gelesen. Trotz dieser äußeren Anerkennung blieb er jedoch ein „Außenseiter“, der sich bis an sein Lebensende Vorwürfe machte, seine Eltern nicht vor den Nazis gerettet zu haben.
Immer wieder fragte er sich, wem er in deutschland „noch mit gutem Gewissen die Hand geben“ könnte. Deshalb wählte er seinen Aufenthaltsort auch in Paris. Einmal besuchte er auch eine Jugendliebe in Jerusalem und verarbeitete den Besuch dort in zahlreichen Gedichten.
Die Werke mehrerer – meist jüdischer – Dichter hat Celan ins Deutsche übertragen. Aber er übersetzte auch Sonette von William Shakespeare. Seine eigenen Gedichte gelten weltweit als wichtigste literarische Verarbeitung der Shoa.
Wiederholt kam Celan in die Psychiatrie. Alpträume und wahnvorstellungen quälten ihn. Die traumatischen Erfahrungen seiner Zeit in Arbeitslagern der Nazis konnte er wohl nur in seinen Gedichten aufarbeiten.
Die Tragik dieses zerrissenen Menschen und seine Offenbarung durch Umschreibung dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Celan gerade heute aktueller und wichtiger ist denn je. Auch sein Gedicht mit dem Titel „Corona“, das er seiner damaligen Liebe Ingeborg Bachmann widmete, beschreibt das Gefangensein und die Einsamkeit in einer verständnislosen Welt. Seine Zeile „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland“ gilt heute leider immer noch und mahnt zu Aufmerksamkeit gegenüber jeglicher Form von Rassismus und Faschismus.