„Ableismus“ ist ein großes Problem für Behinderte. Leider gibt es dergleichen aber auch zwischen Behinderten.
„Das musst Du als Blinder können“, erklären mir andere Blinde. „So ein kleines Gender-Sternchen mitten im Wort ist doch kein Problem“, schrieb jemand zu meinem Kommentar Gerecht gendern.
Eine derartige Bevormundung oder Herabwürdigung werde ich künftig nicht mehr hinnehmen. Was mich beeinträchtigt, das weiß ich am besten selbst. Auch andere Blinde kennen meine Situation als mehrfachbehinderter Blinder nicht.
Die durchaus erwartete Kritik auf meinem Kommentar zu der empfehlung der Frauenministerin Christine Lambrecht, Bundesbehörden sollten auf Sonderzeichen innerhalb eines Worts verzichten, kam überraschenderweise nicht etwa von Feminist*innen, sondern von jemandem, der einen Widerspruch zwischen Gender-Sternchen und Barrierefreiheit für „toxisch“ erklärte. Mit den Argumenten des kritisierten Texts und seiner Grundrichtung setzte sich der Kritiker nicht auseinander. Mein Kommentar richtete sich jedoch nicht gegen Gender-Sternchen generell, sondern gegen ihre allzu häufige und verkompfizierende Nutzung.
Dabei legt mein Kommentar ausdrücklich Wert auf die Betrachtung der Interessen unterschiedlicher Personengruppen. Im Endefekt spricht er sich für eine sparsame Nutzung von gender-Sternchen aus und geht damit nicht so weit wie die nun gültige Regelung für Bundesbehörden. Doch differenziertes Denken scheint manchen Menschen schwerzufallen.
Seit mehr als 30 Jahren bin ich im Arbeitskreis Barrierefreies Internet (AKBI) aktiv. Ziel der Gründung des AKBI war 1998, das Bewusstsein breiter Bevölkerungskreise für Barrierefreiheit in der Kommunikation zu wecken und unnötige Hürden zu beseitigen. Auf diesem Weg ist Deutschland seither mächtig vorangekommen.
In all den Jahren bin ich aber immer wieder auf junge technikaffine Blinde gestoßen, die keinerlei Verständnis dafür zeigten, dass alte blinde Säcke wie ich nicht genau das dkonnten, wozu sie in der Lage waren. „Das muss man doch können“, hieß es da oft. Indirekt haben sie mich für blöd erklärt oder unwillig.
Zu meiner eigenen Scham erinnere ich mich an ähnliche Gadnken Ende der 80er Jahre, als ein älterer Blinder ziemlich hilflos herumstolperte mit seinem Stock. Heute sehe ich mich selber in einer sehr ähnlichen Situation. Angesichts meiner Gehbehinderung laufe ich fast nie alleine draußen herum.
Zwei- oder dreimal habe ich von Aktiven aus der rehabilitationstechnik-Szene gehört, unter Blinden gebe es eine zu geringe Weiterbildungsbereitschaft. Sie sollten sich einfach immer auf dem Laufenden halten. Das sei angesichts der Weiterentwicklung der Technik einfach unerlässlich.
Inzwischen sehe ich auch solche Forderungen kritisch. Selbstverständlich halte ich Weiterbildungen für wichtige Möglichkeiten, sich selber und die eigenen Kenntnisse weiterzuentwickeln und so besser in Beruf und Alltag zurechtzukommen.
ennoch möchte ich älteren Menschen, zu denen ich mich leider manchmal auch selber zählen muss, nicht mehr zumuten, immer wieder Neues erlernen zu müssen. Die Technik soll schließlich den Menschen dienen und nicht die Menschen der Technik. Wer jung und voller Energie ist, der kann sichmeiner Erfahrung nach nur schwer in die Lebenswirklichkeit mehrfachbehinderter alter Blinder einfühlen, wie ich einer bin.
Zum „alten Eisen“ zählen lasse ich mich deshalb noch lange nicht. Auch wenn ich in diesem Jahr noch das Rentenalter erreichen werde, reklamiere ich für mich das Recht auf selbstbestimmte Teilhabe. In meiner Forderung komme ich mir jedoch ziemlich alt und verlassen vor.
Sollen Mehrfachbehinderte Blinde etwa weniger wert sein als junge dynamische Blinde oder kämpferische Frauen? Mich betrübt die Vehemenz, mit der Einzelne auf meinen gut gemeinten Hinweis reagiert haben. Offenbar springen sie auf Aufmerksamkeitssymbole an, ohne das im Text ausgebreitete Problem ernst zu nehmen.
Genau solche Aufmerksamkeitssymbole sind die umstrittenen Gender-Sternchen: In sparsamer Weise eingesetzt, können sie auf die berechtigten Belange verschiedenster Bevölkerungsgruppen hinweisen, die eine geschlechtergerechte Sprach berücksichtigen sollte. Aber auch geschlechtsneutrale Wörter können diverse Menschen mit einschließen, wenngleich sie nicht die gleiche Aufmerksamkeit erreichen wie die Sonderzeichen mitten im Wort.#
Sätze mit vielen Sonderzeichen in verschiedenen Wörtern oder zusammengesetze Worte mit Sonderzeichen erschweren das Leben am sprechenden Computer mit Sonderzeichenansage enorm. Meine Erfahrungen mit Pressemitteilungen der Stadt Marburg sind hier besonders extrem, da die städtische Pressestelle mitunter in jedem Absatz gleich mehrere Wörter in einem einzigen Satz auf diese Weise gendert und so Stolperfallen für mein Ohr generiert. Anders einstellen kann ich meine Ansage jedoch nicht, da ich die Texte bearbeiten und dafür die sonderzeichen mithören muss.
Doch nicht nur aus diesem Grund halte ich die ideologische Anwendung der Gender-Sternchen für problematisch, sondern auch, weil gerade viele ältere Menschen wie ich davon überfordert werden. Die Konzentrationsfähigkeit lässt im Alter erfahrungsgemäß nach. Diese Tatsache erschwert auch eine Umstellung auf neue Gewohnheiten, obwohl man selbstverständlich auch im fortgeschrittenen Alter immer noch lernen kann.
Am Ende plädiere ich deshalb für mehr Rücksichtnahme auf ältere Behinderte und eine zurückhaltende Anwendung der Gender-Sternchen, die ja allein der Bewusstmachung eines Problems dienen, es selber aber gar nicht lösen können. Wenn sie für Menschen wie mich zum Problem werden, dann werden sie am Ende kontraproduktiv. Auf diese Tatsache wollte ich mit meinem Kommentar nur hinweisen.
Wenn „Identitätspolitik“ am Ende nur noch verschiedene Bevölkerungsgruppen geegeneinander aufbringt, dann erledigt sie letztlich die Sache derjenigen, denen jegliche Veränderung ein Dorn im Auge ist. Mein Plädoyer für Solidarität beinhaltet auch die Forderung, differenzierte Diskussionsbeiträge ernst zu nehmen. Meine ganz persönliche Alltagswirklichkeit kann letztlich niemand wegdiskutieren.
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