Gelöscht hat die Freiwillige Feuerwehr Lessenich viel häufiger ihren Durst als irgendwelche Brände. Darin war sie sich mit der Mehrheit der männlichen Ureinwohner einig.
Anfang der 60er Jahre besaß die Feuerwehr nur eine fahrbare Feuerspritze. Die zog der Bürgermeister mit seinem Traktor zum Brandort. Das ging dann nicht gerade schnell voran!
Mitte der 60er erhielt die Feuerwehr dann einen Ford FK 1000. Das war ein Kleinbus mit Rundumverglasung. In ihm konnten acht bis neun Feuerwehrmänner sitzen.
Feuerwehrleute waren damals immer männlich. Auch die Jugendfeuerwehr bestand ausschließlich aus Jungs.
Sie wie auch ihre älteren Kameraden übten eifrig den Ernstfall, der glücklicherweise aber selten eintrat. Mit ihrem Kleinbus und der daran angekuppelten Spritze fuhren sie stolz durch das Dorf.
Bei Festen aller Art zog der Spielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr Lessenich mit Trommeln und Pfeifen auf. Sein Repertoire bestand aus einigen wenigen Stücken. Sie klangen eher militärisch als feurig.
Einmal kam ich an einem Samstagvormittag durch das Friedhofsgäßchen zum Kirchplatz und hörte die Feuerwehrleute spielen. Sehen konnte ich indes nichts. Ich lauschte und folgte der geräuschquelle, die ich schließlich in der ans Schulgebäude angebauten Garage der Feuerwehr ausmacht.
Vorsichtig öffnete ich einen kleinen Spalt weit das zugezogene Tor. In der dunklen Garage des Ford stand der Spielmannszug – in Reih und Glied aufgestellt – und spielte seine Marschmusik. Das sah sehr ulkig aus!
Am Martinsabend zogen wir Kinder mit unseren Fackeln durch das Dorf. Vorne vor dem Zug der Kinder mit ihren laternen ritt der „heilige Sankt Martin“ auf einem Pferd. Er trug einen goldenen Helm und einen langen weiten roten Mantel.
Irgendwo am Weg kniete ein zerlumpter alter Mann am Straßenrand. Martin hielt an und teilte seinen roten Mantel mit dem goldenen Schwert, das er bei sich trug. Dann warf er das rote Tuchüber den kauernden Alten.
Den Martinszug flankierten die Uniformierten der freiwilligen Feuerwehr. Sie trugen Pechfackeln, die mich als Kind ziemlich ängstigten. Ich mochte mir nicht ausmalen, dass das Feuer von dem geteerten Stab auf die ihn tragende Hand überspringen könnte.
Alle Jahre wieder inszenierten die Alten diese Begegnung am Martinsabend für die Kinder. Wir sangen dann „De hellije Zinte Määrtes dat wor ne joode Mann. Der jof de Kinder Kääze un stooch se selewer aan.“
Am Ende des Martinszugs erreichten wir das freie Feld bei Meßdorf. Dort wurden alle Fackeln auf einen Reisighaufen geworfen, der bald lichterloh brannte. Daneben stand die versammelte Freiwillige Feuerwehr und frönte ihren pyromanischen Neigungen.
Die Kinder hingegen zogen mit ihren Lampions von Haus zu Haus und sangen: „Hier wohnt ein reicher Mann, der uns Vieles geben kann. Viel soll er geben; lange soll er leben. Lasst uns nicht so lange, lange stehn, denn wir müssen weitergehn!“
Der gerechte Lohn für diese Sangesdarbietung waren „Kamelle“ und Schokolade oder andere Süßigkeiten. In der Hoffnung auf Süßes zogen viele kleine Kindergruppen durch das Dorf und erleuchteten es mit ihren Fackeln und ihren strahlenden Kinderaugen beim Erhalt der Entlohnung.
Einen weiteren regelmäßigen Großeinsatz hatte die Feuerwehr zu Karneval. Der Traktor des Bürgermeisters zog am Karnevalssamstag die Feuerspritze durch das Dorf, wobei beide Gefährte mit Pappmaschee zu witzigen Figuren umgestaltet waren. Hinter dem Trecker zogen einige Jecken in bunten Verkleidungen durch das Dorf, während der Spielmannszug der Freiwilligen Feuerwehr Lessenich die Vorhut für das närrische Treiben bildete.
Dieser Karnevalszu war wohl auch ein wenig geplant, zu größeren Teilen aber durchaus spontan. Viele liefen einfach mit, wenn die Jecken an ihnen vorüberzogen. Ein junger Mann in einem langen Kleid mit einer Nachtmütze auf dem Kopf zog seine jugendliche Freundin in einem Korbkinderwagen die Gartenstraße entlang, wobei beide „Kamelle“ riefen.
Samstags feierten die kleineren Dörfer im katholischen Rheinland ihren Karneval. Montags machten die Metropolen mit ihren Rosenmontagszügen auf sich aufmerksam. Am „Veilchendienstag“ gingen wir oft ins benachbarte Alfter, wo sich ein endlos langer Karnevalszug durch das enge Dorf schlängelte.
Natürlich zog auch die Freiwillige Feuerwehr Lessenich am Karnevalsdienstag mit durch Alfter. Schließlich gehörte die gegenseitige Unterstützung der Wehren benachbarter Dörfer zur Grundlage des solidarischen Brandschutzkonzepts, worin die Berufsfeuerwehr Bonn das technische Rückgrat bildete.
Bei der alljährlichen Fronleichnamsprozession trugen Feuerwehrmänner den Baldachin über dem Priester und der Monstranz. Überhaupt trug die Feuerwehr die Hauptlast des dörflichen Lebens, waren doch viele der männlichen Bewohner auch Feuerwehrleute.
Meine früheste Erinnerung an die Feuerwehr Lessenich stamt wohl aus dem Jahr 1960 oder 1961. Damals verlief der Meßdorfer Bach parallel zur Hauptstraße und knickte dann vor der Gaststätte nach rechts ab, wo er parallel zum „Grünen Weg“ weiterlief vor mehreren Häusern entlang, die man von der geteerten Straße aus nur über kleine Brücken zur jeweiligen Haustür erreichen konnte. Etwa zehn bis 20 Meter weiter knickte der Bach dann wieder ab und strömte links unter dem Grünen Weg hindurch in Richtung Meßdorf.
Zwischen Bach und Straße standen große alte Pappeln. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite bildete die Mauer des Pfarrgartens die östliche Abgrenzung des geteerten Wegs. Malerisch wirkte dieses Szenario immer auf mich bis zu jenem Tag, als mein Bruder mich genau zu dieser Stelle führte.
Mit blinkendem Blaulicht stand der Feuerwehr-Ford auf der Straße. Feuerwehrmänner mit Helmen und Uniform rannten aufgeregt umher. Ein Motor brummte derweil laut und unablässig.
Die kleinen Brücken zu den Häusern standen alle unter Wasser. Das Wasser stand sogar auf der schmalen Straße. Unermüdlich pumpten die Feuerwehrmänner das Wasser des überquellenden Bachs ab, damit nicht noch mehr davon in die bereits überfluteten Keller der Häuser drang.
All das beobachteten wir Kinder damals mit einer Mischung aus Furcht und Faszination. Graue Wolken am Himmel und der unablässige Dauerregen vermochten uns nicht von der Stelle vor dem Ford zu vertreiben, von der aus wir dem gesamten Geschehen gefahrlos zusehen konnten.
Mitte der 60er Jahre wurde der Bach dort „begradigt“: In einer Röhre rann das Wasser nun schräg unter der Straße hindurch und vermied so die beiden scharfen Biegungen, die das Wasser in den Jahren zuvor häufig hatten über die kleinen Brücken und Vorgärten sowie die Straße steigen lassen. Die Straße war dort nun breiter und die Vorgärten ohne die Brücken schmaler, wobei leider auch die wunderschönen alten Pappeln verschwanden.
Die Feuerwehr musste nun nicht mehr alljährlich zum Pumpen anrücken. Die Anwohner mussten nicht jedes Jahr wieder eine Überschwemmung fürchten; und doch war Lessenich damit ein wenig ärmer, obwohl die Umgestaltung der Straße dem Pfarrgarten eine neue Mauer bescherte.
Der Meßdorfer Bach, der in jedem Dorf einen anderen Namen trägt, war nun gezähmt. Bald wichen die freien Felder auf der Ostseite der Straße weiteren Neubauten, wie sie rund um Lessenich, Meßdorf, und Duisdorf überall aus der Erde aufwuchsen. Für die Feuerwehrmänner war die Frage „Kanste mir was pumpen“ nun nicht mehr beruflich grundiert, sondern eher finanziell.
Meine spätesten Erinnerungen an die Freiwillige Feuerwehr lessenich zeugen davon, dass auch sie unzweifelhaft mit der Zeit gegangen ist. Dabei war sie der Großstadt Bonn, deren Stadtteil Lessenich seit 1968 war, aber immer ein Stück hinterher.
Als ich Mitte der 70er Jahre nach Lessenich kam, hatte die Feuerwehr ein neues Gerätehaus neben dem neuen Schulgebäude bei der „Kreuzung“ beim Trafohäuschen bezogen. Darin standen zwei große Feuerwehrautos vom Typ Magirus Sirius mit runder Motorhaube. Einer der beiden alten Feuerwehrwagen aus den 50er Jahren war ein Tanklöschfahrzeug, der zweite eine Drehleiter.
Bei meinem letzten Besuch in Lessenich hatte die Feuerwehr diese Oldtimer durch gleichartige Feuerwehrautos vom Nachfolgetyp Magirus Saturn mit eckiger Motorhaube ersetzt. Aber auch sie waren damals bereits in einem museumsreifen Alter, dessen „Jugend“ sie allem Anschein nach hauptberuflich bei der Feuerwehr Bonn zugebracht hatten.
Meine Kindheit in Lessenich zwischen Kirche und katholischer Dorfschule ist voll von Geschichten und Geschichte, Anekdoten und Aktivitäten. Mit größerem zeitlichen Abstand färben sie sich allmählich rosig ein, wenngleich das Feuerwehrrot vielleicht auch bedrohliche Aspekte veranschaulichen kann. Nicht zuletzt das Blaulicht auf den Dächern der verschiedenen Feuerwehrwagen warnt zu Vorsicht, beim Löschen den Maßkrug festzuhalten und dabei doch immer vorsichtig Maß zu halten.
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