Zu schön, um wahr zu sein: 93% Wahlbeteiligung in der Türkei

Die hohe Wahlbeteiligung in der Türkei lässt aufhorchen. Die angegebenen 93 Prozent wären entweder ein Beleg für eine lebendige Demokratie oder ein Hinweis auf massenhafte Manipulationen.
Fair und frei jedenfalls war die Wahl am Sonntag (14. Mai) in der Türkei ganz gewiss nicht. Die eindeutigen Belege dafür sind die andauernde Inhaftierung von Oppositionellen und Medienmachenden sowie die fortgesetzten Militäraktionen gegen die kurdische Bevölkerung. Dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zur umgehenden Freilassung des Kulturmäzens Osman Kavala aus dem Jahr 2019 ist die türkische Justiz bis heute noch nicht nachgekommen.
Die realistische Möglichkeit zur Abwahl des langjährigen türkischen Machthabers Rezep Tayb Erdogan könnte sicherlich eine sehr hohe Wahlbeteiligung ausgelöst haben. Sie kann sowohl Unterstützerinnen und Unterstützer seines Herausforderers Kemal Kilicdaroglu an die Wahlurnen gelockt haben als auch die Gefolgschaft des amtierenden Staatspräsidenten. Ob dabei aber tatsächlich ein Wert von 93 Prozent herausgekommen ist, das mögen manche dann doch bezweifeln.
In sogenannten „Sozialen Medien“ kursierten am Wahltag Videos, die angebliche Manipulationen zugunsten von Erdogan zeigten. Da stempelte jemand gleich mehrere Stimmzetteil für Erdogan ab, was bei einem korrekten Wahlverlauf nicht möglich sein dürfte. Ob dieses Video aber echt oder – im übertragenen Sinne des Wortes – „getürkt“ ist, lässt sich kaum klären.
Mehrfach berichtet wurde auch, dass sofort erneute Nachzählungen angeordnet wurden, wenn Kilicdaroglu in einem Wahllokal die meisten Stimmen gewonnen hatte. Die Wahlergebnisse wurden dann nicht sofort weitergeleitet an die große Wahlkommission. Auch das deutet darauf hin, dass die Wahlergebnisse nicht frei und fair ermittelt worden sein könnten.
Die überaus hohe Wahlbeteiligung gibt zudem Anlass zu Spekulationen, dass möglicherweise Stimmen für Personen abgegeben worden sein könnten, die selber nicht gewählt haben. Darauf weist auch der Sieg Erdogans in neun der elf Erdbebenregionen hin, wo viele Menschen nur unter erschwerten Bedingungen überhaupt ihre Stimme abgeben konnten, wo der Präsident aber für die schlimmen Schäden durch das Erdbeben und das schlechte Katastrophenmanagement mit verantwortlich gemacht wird. Sollte da jemand gleich mehrere Stimmzettel eingeworfen haben in der Erwartung, dass viele Wahlberechtigte nicht kommen können, um ihre Stimme vor Ort abzugeben?
Seine höchsten Wahlerbebnisse hat Erdogan in ländlichen Regionen eingefahren, wo die lokalen Behörden hinter ihm stehen. Sollte auch da vielleicht jemand zusätzliche Stimmzettel für ihn in die Wahlurnen geworfen haben? Sollten seine Freunde günstige Gelegenheiten genutzt haben, ihm mit Hilfe unsauberer Tricks zum Wahlerfolg zu verhelfen?
Beweisen lässt sich das nicht. Nicht einmal handfeste Belege für solch einen Verdacht lassen sich leicht beibringen. Dennoch ist Erdogan leider einiges zuzutrauen, was solche Spekulationen durchaus nährt.
Das Fazit ist deswegen ebenso einfach wie ernüchternd: In einem repressiven Staat sind freie und faire Wahlen eher unwahrscheinlich. Die Hoffnung auf eine Ablösung des Diktators wird von ihm und seinen Günstlingen zunichte gemacht, damit sie ihre Pfründe behalten können.