Was Macht macht mit Idealen: Vor 30 Jahren zogen Die Grünen erstmals in den Bundestag ein

Vor 30 Jahren sind Die Grünen in den Deutschen Bundestag eingezogen. Damals war ich mit dabei. Zwar hatte ich kein Mandat im Parlament, aber als Landessprecher der Grünen Hessen habe ich damals an vielen wichtigen Veranstaltungen teilgenommen.

Mit 27 Abgeordneten nahm die Bundestagsfraktion der Grünen am 29. März 1983 ihre Arbeit auf. Noch einmal genauso viele Mitglieder der Öko-Partei zogen als Nachrücker mit in die Büros im Bonner Tulpenfeld ein. Seinerzeit hatten die Grünen nämlich vereinbart, dass jeder Abgeordnete nach der Hälfte der Legislaturperiode seinen Platz mit dem jeweiligen Nachrücker tauscht.

„Die Grünen sind eine Anti-Parteien-Partei“, lautete der Slogan, den vor allem Petra Kelly immer sehr prononciert vertrat. Die Nürnbergerin mit einem US-amerikanischen Vater war damals die bekannteste Grüne weltweit.

Eigentlich wollten die Grünen in ihren Reihen aber gar keine „Promis“. Berufspolitiker sahen sie ebenso skeptisch wie die sogenannten „Sachzwänge“.

Den Strukturen im Parlament setzten sie eigene entgegen, die das Berufspolitikertum verhindern sollten. Auch in ihrem öffentlichen Auftreten waren die oft langhaarigen, mitunter auf Konferenzen strickenden Grünen in selbstgeknüpften Wollpullovern mituntr erfrischend alternativ.

„Alternative Die Grünen“ lautete dann auch ein anderer ihrer Slogans. Alles wollten sie anders machen. Ihre vier Säulen waren „ökologisch, sozial, basisdemokratisch und gewaltfrei“.

Nachdem bei einem Outing als Grüner den meisten 1981 zunächst feindselige Skepsis bis harsche Ablehnung entgegengeschlagen waren, änderte sich das 1982 spürbar. Mit dem damaligen Landessprecher Frank Schwalba-Hoth bin ich in die entlegensten Dörfer des Landkreises Marburg-Biedenkopf gefahren, um dort Infostände oder Diskussionsveranstaltungen durchzuführen. Selbst bei konservativen Besuchern veränderte sich die Reaktion auf uns bald von abwertender Skepsis über große Neugier bis zu wohlwollender Sympathie.

Die Friedensbewegung der frühen 80er Jahre, die Auseinandersetzungen um die „Startbahn West“ am Frankfurter Flughafen und der geplante Bau weiterer Atomanlagen beispielsweise auch bei Frankenberg brachten damals Zigtausende auf die Straße. Viele von ihnen betrachteten Die Grünen als ihre parlamentarische Vertretung.

Die Grünen sahen sich selbst als „Spielbein“ der außerparlamentarischen Friedens- und Umweltbewegung. Die Bewegung als „Standbein“ benötige nur etwas Unterstützung im Parlament, um so noch wirkungsvoller zu werden.

Auf einer großen Welle von Sympathie schwappte dieses zarte und zugleich doch sehr starke grüne Pflänzlein 1983 mit 5,6 Prozent Stimmenanteil in den Bundestag hinein. Vier Abgeordnete und vier Nachrücker aus Hessen waren damals auch dabei.

Listenführer der Grünen Hessen war der Ingenieur Klaus Hecker. Er wurde nach wenigen Wochen durch eine Intrige abserviert und räumte seinen Platz frei für den Nachrücker Milhan Horacek.

Dahinter kam Hubert Kleinert aus Marburg. In der mittelhessischen Universitätsstadt hatte er in der studentischen Wahlliste „Spontifex Maximus“ mitgemacht. Erst den dritten Listenplatz hatte Joschka Fischer. Der stadtbekannte Frankfurter Ex-Sponti war ein brillianter Redner, hatte aber mit den wichtigen Anliegen der Grünen wenig am Hut.

Als Nachrücker habe ich noch Herbert Rusche und Uli Fischer in guter Erinnerung. Als Vertreter der Schwulenbewegung zog der Offenbacher Rusche ins Bonner Parlament. Damit war der vorherige Landesgeschäftsführer der Grünen Hessen wohl einer der ersten Politiker in Deutschland, die sich offen und offensiv zu ihrer Homosexualität bekannten.

Diese Offenheit war eine der Stärken der Grünen. Sie waren anders und sie machten vieles anders als die von ihnen als korrumpiert geschmähten „Etablierten Parteien“.

Das Reißverschluss-Prinzip, wonach die Listen immer abwechselnd mit Frauen und Männern besetzt wurden, hatten die Grünen Hessen zur Bundestagswahl 1983 noch nicht eingeführt. Es kam erst ein Jahr später voll zur Wirkung.

Zum Einzug der Grünen in den Bundestag hatte der Impresario Fritz Rauh ein großes Konzert organisiert. Zuvor hatte er bereits eine Wahlkampftournee untr dem Titel „Die grüne Raupe“ übers Land geschickt.

An das Konzert nach dem Wahlerfolg in Bonn erinnere ich mich noch. Mit den Musikern von „Bernis Autobahnband“ trank ich hinter der Bühne Sekt. Nebenan bezirzte Konstantin Wecker Petra Kelly, deren besondere Ausstrahlung fast jedes harte Männerherz zum Schmelzen brachte.

Die Härte des Parlamentsalltags indes brachte bald auch die Grünen Grundsätze ins Wanken. Nach zwei Jahren als Abgeordnete weigerten sich etliche, ihren Platz für den vorbestimmten Nachrücker freizumachen.

Fischer wechselte vom Bundestag ins Hessische Umweltministerium. Dabei waren wohl 90 Prozent der Parteimitglieder wesentlich fachkundiger auf diesem Gebiet als er.

Macht wurde den Grünen immer wichtiger. Immer weiter entfernten sie sich dabei von ihren ursprünglichen Idealen und den außerparlamentarischen Bewegungen. Jeder Zuwachs an Regierungsmacht bei den Grünen machte die Macht weniger bei den Bewegungen.

Allmählich mutierten die Grünen zu einer ganz „normalen“ Partei. Als der Bundesaußenminister Fischer 1998 die Beteiligung der deutschen Bundeswehr am Krieg im Kosowo befürwortete, war für mich der Absprung endgültig zwingend geworden.

Zu meinen Erinnerungen an Die Grünen vor 30 Jahren habe ich dem Marburgr Journalisten und Blogger Jens Bertrams ein langes Interview für das Internet-Radio Ohrfunk gegeben. Wahrscheinlich könnte ich damit ganze Bücher füllen. Belassen kann ich es aber auch mit der Erkenntnis, dass das Parlamentarische System der Bundesrepublik Parteien eine gewisse „Halbwertszeit“ einräumt, in der sie sich entweder anpassen oder wieder von der Bildfläche verdrängt werden.

2 Kommentare zu “Was Macht macht mit Idealen: Vor 30 Jahren zogen Die Grünen erstmals in den Bundestag ein

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