Hoffnung auf faires Verfahren bereits geplatzt: Mit Los geht´s los

Selten hat ein deutsches Gericht sich so blamiert wie das Oberlandesgericht München beim Prozess gegen den „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). Hatte es bereits mit der Wahl eines beengten Raums die Möglichkeiten einer Teilnahme am Verfahren unnötig eingeschränkt, so blamierte es sich vor allem durch die Vergabe der Presseplätze. Allerdings hat sich hier nicht nur das Gericht nicht gerade mit Ruhm bekleckert.

Zunächst hatte der türkische Botschafter keine Zusage für einen Platz im Gericht erhalten. Das führte zu diplomatischen Verwicklungen, da acht der zwehn Opfer des NSU von türkischer Abstammung waren.

Außerdem hatten die Münchner Richter 50 Plätze nach dem „Windhund-Verfahren“ vergeben. Leer ausgegangen waren dabei türkische und andere ausländische Medien.

Als die türkische Tageszeitung „Sabah“ diesen Verfahrensmangel vor das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) brachte, kam auf Nachfrage heraus, dass der Startschuss zum Windhunderennen der Presse nicht gleichzeitig erfolgt waren. So hatten also nicht alle gleiche Bedingungen bei diesem Wettlauf um die Presseplätze nach dem Prinzip „Wer zuerst kommt, malt zuerst“ Buchstaben auf seinen Notizblock.

Also wurde der Prozessbeginn verlegt, um die Plätze nunmehr auszulosen. Das empörte indes einige Angehörige der Opfer, die nun ihre Hotels umbuchen und noch länger auf den Beginn des erschütternden Verfahrens warten mussten.

Am Dienstag (30. April) gab das OLG München dann das Ergebnis der obergerichtlichen Lotterie bekannt. Dabei waren „Provinzpostillen“ wie die Oberhessische Presse (OP) aus Marburg und die Offenbach Post sowie die Frauenzeitschrift „Brigitte“ oder die Lokalradios „Radio Lora München“ und „Radio Lotte Weimar“. Nicht dabei waren bundesweit erscheinende Zeitungen wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), die Berliner „Tageszeitung“ (TAZ), „Der Stern“ oder „Die Zeit“.

Lediglich mit ihrem Magazin vertreten war die Süddeutsche Zeitung (SZ) aus München. Auch das wurde von vielen Journalisten angegriffen. „Wichtige“ Publikationsorgane seien nicht dabei, während „unbedeutende“ Redaktionen einen Platz erhalten hätten, lautete die Kritik.

Ihren Lautsprechern – vorneweg dem Deutschen Journalisten-Verband (DJV) –
muss man indes eine sehr selbstgerechte und arrogante Sicht auf den deutschen Journalismus attestieren. Mit welchem Recht sollen erfolgreiche und auflagenstarke Verlage nun mehr Rechte auf einen Presseplatz haben als kleine lokale Medien, die oft einen besseren Journalismus fertigbekommen als die aufgeplusterten Marktbeherrscher?

Zudem gehören die „Provinzpostillen“ angesichts der bedauerlichen Pressekonzentration in Deutschland allesamt zu größeren Verlagsgruppen, für die sie nun als Stellvertreter im Gerichtssaal präsent sein werden. Die OP Marburg vertritt mit der Madsack-Verlagsgruppe in Hannover immerhin das zehntgrößte Medienhaus in Deutschland. Die Offenbach Post gehört zur Verlagsgruppe Ippen.

War also die naserümpfende Kritik am Ergebnis der Auslosung durchaus anrüchig, so hat das Gericht bei der Lotterie dennoch einen weiteren Schnitzer hinbekommen. Das Los eines Freien Journalisten vom Westdeutschen Rundfunk (WDR) in Köln war trotz dessen frühzeitiger Rücknahme nicht aus der Lostrommel genommen worden. Ausgerechnet ihm wurde ein Platz auf der Pressebank zugelost.

Daraufhin hat das OLG München die erneute Auslosung des frei gewordenen Platzes angekündigt. Die Verfassungsbeschwerde eines Freien Journalisten, der nach Verlust seines im ersten Anlauf errungenen Presseplatzes nun wenigstens eine Videoübertragung des Verfahrens in einen anderen Raum forderte, wies das BVerfG ebenso ab wie die gleich lautende Forderung von Angehörigen der Opfer.

Noch nicht klar ist, ob Verfahrensrügen der Gerichtsbesetzung Erfolg haben könnten. Auf der Richterbank wird nämlich eine Richterin Platz nehmen, die bereits an den Bundesgerichtshof berufen wurde und das Verfahren deshalb voraussichtlich kaum bis zu dessen Ende führen wird.

Angesichts dieser Ansammlung von Pleiten, Pech und Pannen dürfte wohl kaum noch jemand Vertrauen in die Münchener Richter setzen, dass sie das –
international zu Recht mit Argusaugen beobachtete – NSU-Verfahren ordnungsgemäß und souverän zu einem fairen Abschluss bringen werden. Souveränität jedenfalls sieht zweifellos anders aus.

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