Radikale Änderungen: Die Welt wird auf den Neoliberalismus verzichten müssen

Die Zeiten des behäbigen Wohlstands sind vorbei. Die egoistische Gier der rücksichtslosen Plünderer bestraft die Natur unnachgiebig.
Der Angriff russischer Truppen auf die Ukraine war nicht der Auslöser einer dramatischen Kehrtwende, sondern nur ihr augenfälliges Warnsignal. Wer sich vom Gas aus Russland, „Seltenen Erden“ aus China und Öl aus Saudi-Arabien oder anderen Rohstoffen aus Afrika, Asien und Lateinamerika abhängig macht, wird irgendwann dafür bezahlen müssen. Derzeit bezahlt Westeuropa die Zeche für jahrelange Ignoranz und Arroganz sehr teuer.
Jahrzehntelang haben die Menschen in Deutschland sich einen finanziellen Wohlstand ergaunert. Sie haben billige Kleidung aus asiatischen Ländern getragen und ihren Kaffee nicht fair bezahlt. Menschen in Afrika haben für sie geschuftet, ohne dafür einen gerechten Lohn oder wenigstens annehmbare Arbeitsbedingungen zu erhalten.
So kann das aber nicht mehr weitergehen. Europäerinnen und Europäer müssen ihre Lebensweise umstellen. Das ist unvermeidbar.
Wer jetzt gegen „Verbote“ oder „Verzicht“ wettert, der will diesen menschenverachtenden Kolonialismus weiter aufrechterhalten. Wer an verschwenderischem Egoismus festhält, der macht sich damit selber ganz individuell zum Kolonialisten und ausbeuter. Wer seinen „ökologischen Fußabdruck“ nicht verringert, macht sich zum Feind der Natur und der Gesundheit anderer Menschen.
Das derzeit vorherrschende Wirtschaftssystem mit seiner mystifizierenden Anbetung der „Märkte“, die angeblich alles richten, ist die wesentliche Ursache der derzeitigen Katastrophe. Kapitalistische Konzerne verdienen an Katastrophen, an Krieg, an steigenden Preisen für Gas und Öl oder Strom, an steigenden Preisen für Weizen oder an der Spekulation mit Nahrungsmitteln. Neoliberale Marktstrategen haben die Energieversorgung, das Verkehrswesen, die Gesundheitsvorsorge und selbst die Natur ihren gewinnorientierten Gesetzen untergeordnet und zur „Ware“ gemacht, deren Knappheit den Preis erhöht.
Wo die Marktgesetze Schieflagen verursachen, da schreien die Kapitalisten nach dem Staat. Wo die Konzerne aber Gewinne einstreichen, da zetern sie gegen jede Regulierung durch diesen Staat. Die Allgemeinheit soll Verluste ausgleichen, während die Unternehmen Gewinne zu möglichst niedrigen Steuern einstreichen wollen.
Diese „Marktgesetze“ sind schon lange nicht mehr haltbar. Ging die „Marktlogik“ einst von einer Gleichjet aller Akteure am Markt aus, so haben sich inzwischen längst gigantische Agglomerationen von „Marktmacht“ ausgebildet, die kaum noch kontrollierbar sind. Die „Märkte“ in ihrer entgleisten Form diktatorischer Oligopole und regulationsresistenter Korruptionsstrukturen sind die schlimmste Bedrohung der Demokratie.
Wenn politisch Verantwortliche bestochen werden oder bestochen werden können und sich keiner wirksamen Kontrolle aussetzen müssen, dann ist Demokratie am Ende nicht mehr viel mehr als ein leeres Lippenbekenntnis. Wenn die Daseinsvorsorge im Gesundheitswesen, der Energieversorgung oder im Öffentlichen personennahverkehr (ÖPNV) neoliberalen Marktideologen in den Rachen geworfen wird, dann droht auf mittlere bis längere Sicht der völlige Kollaps der Gesellschaft, der Natur und der Demokratie. Ohne wirksame Einschränkungen individuellen Reichtums sieht die Zukunft düster aus.
Menschen müssen auf Verhaltensweisen und Produkte verzichten, die die Umwelt unnötig belasten. Derartige Produkte müssen durch gesetzliche Reglungen entweder verboten oder ihre Nutzung durch andere Maßnahmen wie eine Besteuerung begrenzt werden. Daneben müssen ein freiwilliger Verzicht und ein gesellschaftliches Klima der Ächtung zerstörerischer und egoistischer Lebensweisen treten.
Die „Soziale Marktwirtschaft“ kennt Grenzen. Das sah dereinst auch der „Vater des Wirtschaftswunders“ in Westdeutschland so. Der Wirtschaftsminister und spätere Bundeskanzler Ludwig Erhard rief in den 60er Jahren die Bevölkerung zum „Maß halten“ auf.
Nichts anderes besagt auch die Forderung nach „Verzicht“. Verzichten können aber nur Leute, die auch die dafür nötigen Spielräume haben. Demgegenüber muss der Staat diejenigen unterstützen, die durch Klimawandel und Krieg in ihrer Existenz bedroht werden.
Das wiederum kann der Staat aber nur durch eine stärker Besteuerung von finanziellem Reichtum. Gerecht ist die Abschöpfung der Gewinne aus früherem Raubbau an Ressourcen allemal. Darum ist eine Vermögenssteuer ebenso wie eine höhere Erbschaftssteuer nichts Anderes als die nachträgliche Inanspruchnahme der Verursacherinnen und Verursacher der gegenwärtigen Klimaveränderungen und des Kolonialismus.
In diesem Sinne sind höhere Steuern für unangemessenen finanziellen Reichtum ebenso unerlässlich wie eine Überführung der lebenswichtigen Infrastruktur in Gemeineigentum. Der egoistische Raubbau-Kapitalismus hat die Krise verursacht und muss dafür zur Rechenschaft gezogen werden.
Am Krieg darf niemand gewinnen. Deswegen ist die Energieversorgung zuallererst in Gemeineigentum zu überführen. Gleiches gilt für Krankenhäuser und die Basiseinrichtungen der Gesundheitsvorsorge. Größere Zusammenballungen von privater Gewinnmaximierung sollte es letztlich nirgends geben.
„Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“ Diese Regelung im Artikel 14 des Grundgesetzes (GG) muss endlich umgesetzt werden, weil sonst nicht nur die Demokratie zu scheitern droht.

Ein Kommentar zu “Radikale Änderungen: Die Welt wird auf den Neoliberalismus verzichten müssen

  1. Pingback: Schleimspuren und Schnecken: Beharrungskräft von oben und unten | Franz-Josef Hanke

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.